Verzicht
Februar 2021
Eine Bekannte von mir möchte mich krönchentechnisch nicht treffen, die Argumentation dafür hat mich allerdings irritiert. An Weihnachten, so erzählt sie mir, wäre ihre Tochter, die im Ausland studiert, extra nicht nach Hause gekommen um sie, ihre Mutter, zu schützen. Deshalb dürfe sie, laut ihrer Tochter, auch keine anderen Menschen besuchen, denn sonst sei der Verzicht ihrer Tochter ganz umsonst gewesen.
Dieses kleine Gespräch hat mich nachdenklich gemacht. Ich erkenne, dass schmerzlicher Verzicht, den ich mir selbst glaube zumuten zu müssen, weitreichende Konsequenzen hat. So ein Verzicht verlangt von anderen, diesen Schmerz ebenfalls zu fühlen, Opfer zu bringen, sich hintanzustellen, den Mangel zu spüren, den diese Entscheidung mit sich bringt.
Mit so einem Verzicht schränke ich nicht nur mich selbst ein, sondern auch andere in meinem Umfeld. Vielleicht ärgere ich mich über sie, weil man das so nicht macht, oder ich werte sie ab, weil ich den Durchblick habe und sie nicht, weil ich die Gute bin. Ich spüre die Kraft dieser Dynamik, die so schnell und unbewusst ist. Ich ahne, dass das Gefühl die Gute zu sein ein sicherer Hinweis darauf ist, dass ich in meine eigene Falle tappe. In diesem Moment ist die Verbindung unterbrochen.
Es gibt auch Verzicht, der frei von Schmerzen ist, bei dem ich wirklich einverstanden bin mit meiner Entscheidung. Wenn ich eins bin, mit dem was ich mache und nicht eigentlich etwas anderes möchte. Dann, so spüre ich, dürfen die anderen auch weiterhin ihre Leben leben, ohne dass ich mich darüber empören muss oder ich ein ungutes Gefühl habe. Ein solcher Verzicht hinterlässt keine Wunden und Fehlstellen, sondern ist mit Leben gefüllt, wie jede andere Entscheidung. Er ist nicht begleitet von dem beständigen Kratzen der Krallen des Widerstandes eines Anteiles von mir, der dagegen ist. Bei so einem Verzicht ist mein ganzes Wesen einverstanden und das bringt Klarheit und Ruhe in mich.
Ich beschließe, die Sache umgekehrt zu betrachten und darauf zu schauen, was ich an anderen peinlich finde und unerhört, achtsam auf Situationen zu sein, wo ich mich ärgere oder finde, ich mache das viel besser als die. Ich will herausfinden, ob vielleicht etwas dahinter steckt, was ich mir nicht erlaube, aber ganz tief in meinem Inneren gerne möchte, ob ich auf etwas verzichte, ob ich mich bescheide und einschränke ohne dass es mir bewusst ist. Ich glaube, das wird interessant.