Die Heiligkeit der Zwischenräume

Ich bin in den letzten beiden Wochen auf die Zwischenräume in meinem Leben aufmerksam geworden: Das Warten auf den Zug, den Mantel ausziehen und dann ein paar Sekunden einfach dastehen, nach dem Essen kurz alleine am Tisch sitzenbleiben - ich beginne zu spüren, wie wichtig diese leeren Momente zwischen den gefüllten Zeiten sind. Es ist, als würden sie mein Leben lüften und durchlässig machen. Es ist, als wären diese Augenblicke die Gelenke, die meine Tätigkeiten miteinander verknüpfen, als würde mein Leben Atem holen.

Natürlich geht es mir dabei wie allen anderen: Ich versuche diese Lücken im Tag zu füllen. Ich schaue nach neuen Nachrichten, telefoniere, überlege mir, was ich kochen soll und bleibe bei Facebook kleben. Immer wieder gebe ich mich der Illusion hin, dass ich mehr erledigen kann, wenn ich drei Dinge zugleich verrichte und glaube, es ginge sich noch aus, wenn ich das nur gut genug plane. Alles eine Frage der Organisation, sage ich mir. 

Ich fülle die Zwischenräume mit Alltagskram, getrieben von der Angst, dass ich sonst nicht schaffen könnte, was ich mir vorgenommen habe. Das bewirkt, dass die Luft, die Lebensenergie in meinem Leben nicht mehr zirkulieren kann, sich die Gedanken stauen und ich nicht mehr verarbeiten kann, was ich gerade erlebt habe. Denn dazu dienen diese Zwischenräume: um Geschehenes zu integrieren, um Gefühlswellen vorbeiziehen zu lassen, sie sind dazu da, dass Gedankenstürme an Fahrt verlieren und Anspannungen sich lösen. Deshalb sind diese Zwischenräume heilig.

Ohne die Zwischenräume verliert das Leben leise an Sinn, es verblasst langsam, während ich funktioniere. Diese unscheinbaren Pausen, in denen scheinbar nichts passiert, in denen keine Aufgaben erfüllt werden, in denen ich nicht verplant bin, sind meine Spielräume. In den Zwischenräumen kann ich meine Richtung für die nächsten Minuten oder Stunden ändern, neue Entscheidungen treffen, mich neu sortieren.

In diesen Pausen des Alltags finden manchmal wunderschöne Begegnungen statt: ein Blickkontakt auf der Straße, eine Umarmung mit meinen Kindern, die Freude über den Duft des Calicanthus oder ein Lächeln über eine sich Streckende Katze.

Ich mag diese Zwischenräume wichtig nehmen und wahr, ich will sie pflegen.

Amathea

22.2.2020